Impressum | Home

Werkbesprechungen

 

Johann Sebastian Bach’s Johannespassion

Als Bach im Mai des Jahres 1723 seine Stelle als Thomaskantor in Leipzig antrat, war ihm nicht bewusst, dass er diese Funktion bis zu seinem Lebensende im Jahre 1750 ausfüllen würde; zu unstet und mit zahlreichen Ortswechseln verbunden war sein Leben bisher verlaufen.

Zur Biographie Bachs

Johann Sebastian Bach wurde 1685 in Eisenach als letztes von acht Kindern in eine weitverzweigte Musikerfamilie hineingeboren. Nach dem Tod seiner Eltern wurde der Zehnjährige von seinem Bruder Johann Christian, Organist in Ohrdruf, aufgenommen. Neben dem Schulunterricht wurde J.S.Bach dort mit dem Orgelspiel vertraut und war auch als Chorsänger tätig.

1700 setzte er seinen Schulbesuch in Lüneburg fort. Dort verdiente er sein Schulgeld als Sänger im Mettenchor. Das war ein Chor von ärmeren Kindern, die sich durch das Singen bei  Gottesdiensten, Hochzeiten und Beerdigungen etwas Geld verdienen konnten und, sofern sie auf einem „Freiplatz“ lernten, dies auch tun mussten.

Nach erfolgreicher Beendigung der Schule 1702 wurde Bach Violonist und Organist in Arnstadt, 1707 wechselte er als Organist nach Mühlhausen. Sein Gehalt war dort hoch genug, um eine Familie gründen zu können. So heiratete er seine Cousine Maria Barbara. Aus dieser Ehe gingen sieben Kinder hervor.

1708 übersiedelte er nach Weimar, wirkte dort zunächst als Organist, stieg jedoch 1714 zum Konzertmeister auf. Hier setzte sich Bach verstärkt mit der am Hof äußerst beliebten italienischen Instrumentalmusik auseinander und übertrug Konzerte von Vivaldi auf Cembalo und Orgel.

1717 bewarb sich Bach erfolgreich als Kapellmeister beim Fürsten von Anhalt-Köthen als Kapellmeister.

Hier hatte Bach hervorragende Instrumentalmusiker zur Verfügung. Er widmete sich vor allem der instrumentalen Musik und komponierte die meisten seiner  Instrumentalkonzerte, darunter die Sechs Brandenburgischen Konzerte, und auch den ersten Band des Wohltemperierten Claviers.

Diese äußerst glückliche und schöpferische Zeit wurde durch den plötzlichen Tod von seiner Frau 1720 überschattet. Ein Jahr später nahm Bach Anna Magdalena Wilcken zur Frau. Aus dieser Ehe gingen dreizehn Kinder hervor.

Als sich der Fürst ab 1722 immer mehr von Bachs Musik abzuwenden schien, sah sich Bach wieder nach einer neuen Stelle um. Schließlich ging  er 1723 als Thomaskantor nach Leipzig. Ein weiterer Grund für diesen Stellenwechsel war, dass er seinen Söhnen eine gute Schulbildung ermöglichen wollte.

Als Kantor und Musikdirektor in Leipzig war Bach für die Musik der vier Hauptkirchen verantwortlich. So entstand für den Karfreitag 1724 Bachs bis dahin umfassendste Werk, die Johannespassion. Sie ist seine früheste noch vollständig erhaltene Passion.

Der Text

Die Darstellung der Leidensgeschichte Christi im Evangelium nach Johannes unterscheidet sich von den Berichten der anderen drei Evangelisten. Im Johannesevangelium geht es dem Verfasser vor allem darum, auch im Bericht über das Leiden Jesu dessen göttliche Macht und Herrlichkeit hervorzuheben.

Das Werk ist für den Vespergottesdienst der Karfreitagsliturgie bestimmt. So bildet der biblische Passionstext - das 18. und 19. Kapitel des Johannesevangeliums - die textliche Grundlage. Sie besteht zunächst aus dem erzählenden Bericht des Evangelisten. In direkter Rede sprechen Personen wie z.B. Jesus oder Pilatus, sowie die Stimmen der Volksmenge. Dazu hat Bach, wohl wegen weiterer dramatischer Effekte, Verse aus dem Matthäusevangelium hineingenommen, so das Weinen Petri, nachdem er Jesus dreimal verleugnet hat (Matthäus 26,75), die bildhafte Schilderung des Erdbebens und die Erweckung der Toten, nachdem Jesus am Kreuz gestorben war (Matthäus 27,51).

Als weitere textliche Ebene fügte Bach in freier Dichtung gehaltene Arien-Texte hinzu, die er aus verschiedenen anderen Texten von Passionen entnahm und umschrieb. Die dritte textliche Ebene besteht aus Choralstrophen. Der so entstandene Text lässt sowohl die Passionshandlung als auch betrachtende Episoden direkt ineinander greifen und von unterschiedlichen Perspektiven aus die Leidensgeschichte Christi eindringlich zur Darstellung bringen.

Zur Musik

Bach sah sich selbst als einen Musikgelehrten, der in den Kompositionen seine Erkenntnisse über die musikalische Wissenschaft verwirklichte. Nach seinem Verständnis, ist es Wesen und Aufgabe,  mit Hilfe der Kunst die Natur nachzuahmen. Denn für Bach soll die Kunst zwischen der realen Welt - der Natur - und Gott, der diese reale Welt geschaffen hat und weiter ordnet, stehen. In dieser Vermittlerrolle hat die Musik vor allem die Aufgabe,  Gott zu ehren und das Gemüt der Menschen zu stärken.

Immer wieder werden Bachs geistliche Vokalwerke als "klingende Predigt" beschrieben, als Werke, in der eine musikalische Auslegung des Textes stattfindet. Das bedeutet, dass die Musik den Text theologisch reflektiert und interpretiert. Dazu bedient sich Bach verschiedener musikalischer Mittel.

So gibt es z.B. in der Johannespassion einige Chorpaare ähnlicher Gestaltung, die durch andere Nummern getrennt von einander, ihren Platz haben und so das musikalische Geschehen sowohl strukturieren als auch weitmaschig musikalisch verbinden. Die Chorsätze „Wäre dieser nicht ein Übeltäter“ und „Wir dürfen niemand töten“ oder „Sei gegrüßet, lieber Jüdenkönig“ sowie „Schreibe nicht: der Jüden König“ bilden solche Chorpaare.

Weiters setzt Bach die Musik dazu ein, um den Text plastisch zu gestalten, so z.B. im Anfangschor bei der Textstelle „auch in der größten Niedrigkeit“. Hier wird das Wort „Niedrigkeit“ durch eine abfallende Tonfolge, die gleichsam in das Niedrige hinunterleitet, dargestellt. Ein weiteres Beispiel für eine durch Musik dargestellt Textinterpretation findet sich in der Sopranarie „Ich folge dir gleichfalls“. Hier zeigt sich das „Folgen“ in der Flöte, wenn sie die Singstimme um eine Viertelnote verschoben nachspielt, ihr also nachfolgt.

Als weitere Möglichkeit zur musikalischen Auslegung des Textes setzt Bach die sogenannten Affekte ein. Darunter versteht man eine durch Musik ausgelöste emotionale Darstellung, ja Auslegung des Textes. Darüber hinaus soll nicht nur der Affektgehalt des Textes musikalisch nachgezeichnet, sondern auch im Zuhörer erregt werden. Der Komponist – in unserem Fall J.S.Bach - soll eine Musik schaffen, die beim Hörer Affekte - auch negativer Art - wie z.B. Neid, Hass oder Zorn - auslösen und damit gleichsam abgearbeitet  werden, damit der Zuhörer nach dem Durchleben dieser Affekte von ihnen im "wirklichen" Leben befreit ist.

Ein Beispiel unter den zahlreichen emotionsgeladenen Momenten in der Johannespassion ist der Chor „Wäre dieser nicht ein Übeltäter“. Das Wort „Übeltäter“ lässt Bach in schauerlichen chromatischen Folgen erklingen, die wahrlich das „Üble“ über das Hören sinnfällig machen.

Zwischen den hochdramatischen Episoden ermöglichen raffiniert gesetzte Choräle, sowie betrachtende Arien und Ariosi Momente des Innehaltens und der Kontemplation, um danach wieder in das  Passionsgeschehen durch die Musik emotional hineingezogen zu werden.

In alten Berichten kann man immer wieder lesen, dass Menschen beim Anhören von Passionsmusiken so sehr ergriffen wurden, dass sie in Tränen ausgebrochen sind.

 

Dr. Eva Diettrich